Home > Interessantes > Zu den ältesten Kapellen in der Mani

Kirche im Schattenreich

Die Odigitria-Kapelle erhebt sich hoch über die
Tigani, die „Bratpfanne” genannte Halbinsel, auf
der - von den Mykenern an – alle, die Herren
über die Mani sein wollten, ihre Burgen bauten.

Die frohe Botschaft kommt nicht an. Dass ein neuer Gott geboren ist, einer, der die Welt erlösen soll, dringt nicht in den Süden des Peloponnes vor, erreicht nicht die Menschen in der Mani. Fast scheint es, als blocke die schroffe Bergkette des Taygetos das Christentum ab. Dabei ist es längst zur Staatsreligion im Römischen Reich erklärt worden, haben seine Missionare in Europa selbst Außenposten wie Irland für Jesus eingenommen – nur Griechen­lands äußerster Süden versperrt sich dem neuen Glauben. Als die Mani sich schließlich doch zu Christus bekennt, tut sie’s mit dem Übereifer von spät Bekehrten: Die Kapellen hier sind schöner als anderswo, dazu noch doppelt und dreifach verziert.

Von Waltraud Sperlich

„Ich bin das Leben!” sagt der Herr. Ich bin der Tod!” sagt der andere. Jener Herr, der über die Mani, besser: unter der Mani gebietet. Und der es dem Herrn des Lebens fast ein Jahrtausend lang verwehrt, in seinem Reich Fuß zu fassen. Dass Jesus außen vorblieb, lag nicht an seinen Vertretern auf Erden. Das Christentum bot schon früh exzellente Werber auf, wie etwa Paulus, vormals Saulus, der die neue Religion besonders den Griechen nahebrachte. In Thessaloniki und Philippi, einer Stadt nahe dem heutigen Kavala, gründet er erste Gemeinden. Zieht dann über Athen weiter auf den Peloponnes, wo er in Korinth in den Jahren 50 und 51 leben und predigen wird. Auf dass die hier neu gewonnenen Anhänger ihn und Jesus ja nicht vergessen, schickt er ihnen nach seiner Abreise lange, ermahnende Episteln, die Korintherbriefe. Da Paulus die alten Götter fürchtet, die immer noch sehr beliebt bei den Griechen sind, beschwört er wieder und wieder die Korinther: „Fliehet von dem Götzendienst.” Fast an die Adresse der Maniaten scheint folgender Absatz gerichtet: „Aber ich sage euch: Was die Heiden opfern, das opfern sie den Teufeln.”

Einem Teufel, was die Mani betrifft. Hier im tiefsten Süden Griechenlands war immer schon die Unterwelt angesiedelt, herrschte seit jeher der Totengott Hades, der - nicht so gesellig wie Zeus & Co. - keine anderen Götter neben oder über sich dulden wollte. Er regierte selbst dann unangefochten weiter, als der Staat längst eine andere göttliche Ordnung dekretiert hatte, in der für ihn kein Platz mehr vorgesehen war.

Der Glaube versetzt Tempel

Um das riesige Römische Reich besser regierbar zu machen, wird es von Kaiser Diokletian im Jahr 286 in zwei Machtbereiche aufgeteilt. Ein Kaiser herrscht nun über Westrom, der andere über Ostrom, sprich Byzanz. Kaiser Konstantin schwingt sich dann 324 zum alleinigen Kaiser beider Reiche auf, macht Byzanz zu seiner Stadt: zu Konstantinopel, eigentliche Hauptstadt und Traummetropole des Mittelalters. Auch für die Christen des Reiches bricht eine neue Zeit an.


Nach den Jahrhunderten der Verfolgung können sie sich zum ersten Mal sicher fühlen, da Konstantin die Weisung erlassen hat, dass von nun an in seinem Staat das Christentum zu tolerieren sei. Bereits im Jahr 360 wird in Konstantinopel der erste Bau der Hagia Sophia eingeweiht, der Prototyp aller byzantinischen Kirchen. Überall im oströmischen Land wird die Kuppelbasilika nachgeahmt, wenn auch in stark verkleinertem Maßstab.

Aus einem Tempel wurde eine Kirche gebastelt. In
der Fassade der Agios-Ioannis-Kirche von Keria ist
das antike Baumaterial zu sehen.
Eine Hagia Sophia en miniature. Auch die Kapelle
für den Agios Ioannis ist eine Kreuzkuppelkirche,
so wie die ganz große in Konstantinopel.

Im Jahr 380 erklärt Kaiser Theodosios das Christentum zur Staatsreligion. Leider das Startsignal für fromme Eiferer, alles „Heidnische” auszumerzen. Libanios, der größte griechische Rhetoriker der Spätantike, verteidigt in einer Rede an Kaiser Theodosios die alten Religionen und klagt die illegale Zerstörung der Tempel durch Mönche an. Er ruft dazu auf, die Bauwerke und Schätze der Antike zu schützen. Ein einsamer Rufer, denn die christlichen Scharfmacher haben nun das Sagen, wie beispielsweise Ambrosius, Bischof von Mailand. Er verhindert mit Kirchen- und Wortgewalt, dass 388 ein mesopotamischer Amtskollege verurteilt wird, der im Zweistromland das Niederbrennen einer Synagoge veranlasst hatte. Es sei rechtens, „einen Ort zu beseitigen, an dem Christus geleugnet wurde”, führt der Bischof aus. In diesem Sinne werden von nun an „Heiden” abgeschlachtet und ihre Tempel ausgeschlachtet. Weil die Kleingeistlichkeit regiert, ist es nur folgerichtig, dass 391 auch die Olympischen Spiele verboten werden.

Derweil denken die Menschen in der Mani nicht im Traum daran, die alten Götter abzusetzen. Zu mächtig, zu omnipräsent ist da immer noch Hades. Keiner da, der es sich mit dem Totengott verscherzen will! Die Christen geben ihnen zu denken. Sie und ihr Glaube sind höchst unglaubhaft, da sie Nächstenliebe predigen, jene Nächsten aber töten, wenn sie anderen Glaubens sind. Erst im 9. Jahrhundert überwindet das Christentum die Barriere des Taygetos und den inneren Widerstand der Maniaten. Auch hier werden nun die alten Kultstätten zerstört, aus „heidnischen” Steinen Kirchen errichtet, wie in Keria, einem kleinen Weiler auf dem Cavo Grosso. Im 13. Jahrhundert gingen da frisch Bekehrte an ihr Zerstörungswerk und patchworkten dann aus dem antiken Bauschutt ihre Basilika zusammen.
Die Fassade der Kirche, geweiht die dem Agios Ioannis, besteht aus einem Sammelsurium aus Säulen, Architraven, Basen, Schwellen­steinen, Teilen von Statuen. Auch alte Grabstelen wurden eingebaut, wie zum Beispiel das Steinbild eines Herrchen, das auch im Jenseits nicht ohne seinen Hund sein wollte.

Eine antike Grabstele, auf der ein Mann
samt Hund zu sehen ist, wurde im Mauer-
werk der Agios Ioannis-Kirche in Keria
verbaut.
Antike Grabstele in der Fassade der
Agios-Ioannis-Kirche von Keria. Mann
und Hund haben sichtlich die Zähne der
Zeit zugesetzt.

Was verbindet eine deutsche Kaiserin mit der Mani?

Brauchte der christliche Glaube fast ein Jahrtausend, um in die Mani zu gelangen, schaffte es die christliche Zeitrechnung sichtlich schneller. Der Beweis dafür findet sich in einer kleinen Kapelle nordwestlich des Ortes Ano Voularii - so man dieses Gotteshäuschen über­haupt findet. Wie Feldmauern muten die Wände an; das Grau der Steine, das Silber der Schiefer­ziegel auf dem Dach tarnen sie perfekt inmitten verwilderter Olivenhaine. Was auf den ersten Blick wie ein einfacher Stall aussieht, beherbergt tatsächlich einen Schatz – künst­lerisch und historisch gesehen. Ein Maler hat hier in Form- und Farbgebung einmalige Fresken geschaffen, die er mit einer Jahreszahl signiert. 991 schreibt er deutlich in eines seiner Bilder, die damit die ältesten in der Mani sind.

Die „halbe” Kapelle des Heiligen Panteleimonas,
kaum zu finden in den verwilderten Olivenhainen
von Ano Voularii.

Der Künstler war im doppelten Sinne up to date, da sich die neue Zeitrechnung noch nicht einmal in der Hauptstadt durchgesetzt hatte. Im Oströmischen Reich galt ein ganz eigener Kalender, wie Kaiser Basileios II. 988 noch einmal bekräftigt hatte. Man rechnete hier die Jahre ab der Erschaffung der Welt, die byzantinische Geschichtsschreiber auf das Jahr 5509 vor der christlichen Zeitrechnung festgelegt hatten. Weil man aber in Westrom die Geburt Christi zum neuen Fixpunkt der Zeitrechnung machen wollte, wurde im Jahr 525 der Mönch Dionysios Exiguus beauftragt, einen „christlichen” Kalender auszutüfteln. Stunde Null der neuen Zeitrechnung war also die Geburt Jesu, auch wenn man damals die Null noch nicht kannte und sich der Erschaffer des neuen Kalenders um sieben Jahre verrechnete.

Der Künstler schreibt also das Entstehungsjahr seiner Fresken mit 991 fest, einer Jahreszahl, die im byzantinischen Kalender allergrauste Vorzeit bedeutete. Was aber ist da, wo die neue Zeitrechnung schon in Gebrauch war, was ist in diesem Jahr 991 passiert? Im Juni 991 stirbt ganz überraschend eine der einflussreichsten Herrscherinnen des Mittelalters, die römisch-deutsche Kaiserin Theophano, gerade mal 31 Jahre alt. Theophano stammte aus Konstantinopel, war aber nicht die byzantinische Prinzessin, die der römisch-deutsche Kaiser Otto I. für seinen Sohn Otto II. eingefordert hatte. Mit einer dynastischen Heirat wollte dieser deutsche Herrscher an der Macht, am Glanz des byzantinischen Reiches teilhaben. Schon im Jahr 900 hatte Karl der Große versucht, die Macht von Byzanz, wenn schon nicht zu brechen, so doch zu halbieren. Er erklärte sich zum ersten der „Römisch-deutschen Kaiser” mit der fadenscheinigen Begründung, der Thron von Konstantinopel sei ja verwaist, das Reich somit ohne Herrscher. Dabei regierte zu dieser Zeit Irene, die – so Karls Schlussfolgerung, eingeflüstert von einem Papst, der auch mächtiger werden wollte – nicht Kaiser sein konnte, da sie eine Frau war. Weil aber Geschichte immer viel Ironie zu bieten hat, wird später eine Frau aus byzantinischem Geschlecht zum besten Herrscher der römisch-deutschen Kaiserlinie werden.

Diese Theophano hatte nun in ihrem Testament verfügt, wo sie beerdigt sein wollte. Die Frau aus Byzanz wünschte sich, in Köln bestattet zu werden, und da in der Kirche zu Sankt Pantaleon. Pantaleon war ihr Lieblingsheiliger gewesen, auch er ein Import aus dem Osten, wo er Panteleimonas geschrieben wird. Und genau diesem Panteleimonas, dem Lieblingsheiligen der Kaiserin Theophanou, wird in ihrem Todesjahr die Kapelle auf dem Felde bei Ano Voularii geweiht! Zufall? Wie bloß soll die Nachricht von Theophanos Tod so schnell in die Mani gelangt sein, mag der einwenden, der meint, dass die Menschheit erst mit dem Auto mobil geworden ist und es vor Erfindung des Telefons keine Nachrichtenübermittlung gegeben hat.

Der Mann in der Krippe

Der Künstler, der den heiligen Panteleimonas in der Kapelle von Ano Voularii verewigt hat, scheint entweder von weit her oder weit gereist zu sein. Er schreibt eine im byzantinischen Reich ungebräuchliche Jahreszahl und malt so ganz anders, als zu dieser Zeit in Griechenland üblich. Wieder üblich ist, denn erst 100 Jahre vorher hat man in Konstantinopel den Bilderstreit beigelegt, der es verbot, sich Bilder von Gott und den Heiligen zu machen. Während andere Maler verhalten zu dunklen, düsteren Farben greifen, wählt der Künstler von Ano Voularii leuchtende Orange- und Rottöne.

Das Bildnis der Heiligen Kyriaki in der Kapelle
des Heiligen Panteleimonas. Das Kirchlein dient
auch als Stall, Kühe umlagern die Krippe mit
dem Jesusmann.

Die Farben strahlen, die Menschen nicht. Ganz im Stil dieser Zeit sind der heilige Panteleimonas und der heilige Nikitas gezeichnet. Beide waren Märtyrer und hatten deshalb nichts zu lachen. Panteleimonas, Arzt am Hofe des oströmischen Kaisers Galerius, gab um 300 sein Leben für den Glauben hin; der heilige Nikitas wurde 70 Jahre später von den Goten getötet.

Unscheinbar wirkt das Kirchlein des
Heiligen Panteleimonas von außen,
birgt aber in seinem Innern einen
wahren Freskenschatz.

An einer Seitenwand der Kapelle ist die Geburt Christi festgehalten. (Dazu passt der leibhaftige Ochs im Innenraum, der hier heutzutage seinen Stall hat.) Im Kirchlein von Ano Voularii liegt aber kein herzig’ Kind in der Krippen, da hockt ein ausgewachsener Mann. Auch lacht keine Lieb’ aus seinem Mund; statt oh wie oh weh, denn er schaut gar grimmig drein, die Stirn stark gerunzelt. Lieblichkeit war wohl nicht angesagt in einem Landstrich, wo das Leben nie süß war, sondern nur hart. Und wer im Jahr 991 in der Mani dachte, die Zeiten können nicht noch härter werden, hatte sich getäuscht. Weitere Eroberer lauern schon, Volk und die Kirche auf dem Peloponnes zu drangsalieren.

        
Die Odigitria-Kapel­le hoch über dem Meer, jener Mutter­gottes ge­weiht, die den Weg weist. In dieser Ge­gend verließen sich vor allem die See­räuber auf diese Madonna.    Die Odigitria-Kapelle vor steiler Felswand, mit der sie fast zu verschmelzen scheint.     Ein Fresko in der Kirche des Heiligen Panteleimonas zeigt die Geburt Christi, doch Jesus ist darauf kein
Jesulein, sondern ein gestrenger Mann.
   Der Heilige Panteleimonas in seiner Kapelle auf dem Feld
bei Ano Voularii. Die Fresken wurden ausweislich einer Jahreszahl 991 gemalt, sind damit die ältesten in der Mani.