Home > Porträts > Waltraud Sperlich, eine deutsche Journalistin abseits vom Puls der Welt

Waltraud Sperlich

eine deutsche Journalistin abseits vom Puls der Welt


Um der (Selbst)Zensur zu entfliehen, kehrte die Journalistin Waltraud Sperlich Ende der 70er Jahre Deutschland den Rücken zu. An einem abgeschiedenen Ort in der Mani – fernab von Straßen, Nachbarn und Stromleitungen – fand sie ihr neues Zuhause. Dort schreibt sie für die Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" und ihren Verlag Lyso.

Idyllisch ist es hier. Und abgeschieden. Vor allem, wenn es heftig regnet. Dann bleibt Waltraud Sperlich nämlich fast nichts anderes übrig, als zuhause zu warten, bis der Regen vorüber und das Wasser wieder abgeflossen ist. Das Haus der deutschen Journalistin steht am Rande des maniatischen Taygetos-Gebirges und ist nur über einen Pfad, der durch eine Schlucht führt, zu erreichen. Und bei Regenfällen kann sich dieser schmale Fußweg schon einmal in einen reißenden Fluss verwandeln.

1969. Die damals 20jährige Waltraud Sperlich fährt mit drei Freunden und einem VW-Bus auf Urlaub nach Griechenland. Nach abenteuerlicher Reise landen sie in der Mani, einer idyllischen, aber abgeschiedenen und dünn besiedelten Region auf dem mittleren Finger des Peloponnes, in der es zu dieser Zeit weder asphaltierte Straßen noch Telefone gibt. Nach zwei Monaten kehrt sie wie geplant wieder zurück nach Deutschland. Geschichtestudium, Journalistenschule, Promotion und ein Job beim Bayrischen Rundfunk folgen – jedoch: "Die Stimmung damals war nicht gut für Journalisten", erinnert sich die Althistorikerin. "Es war die RAF-Zeit. Damals war prinzipiell jeder verdächtig und wir Journalisten durften fast nichts schreiben. Als ich dann bemerkt habe, dass ich meine Texte unbewusst sogar selbst schon zensierte, war mir klar: Ich muss weg."

Pferde als Möbeltransporter
Mit anderen Worten: zurück in die Mani, wo sie sich ein Freijahr gönnen möchte, von dem sie nicht mehr zurückkehren wird. 1979 kauft sie sich jenes Häuschen in der Nähe des Ortes Stoupa, das sie auf einem Spaziergang während ihres Urlaubs zehn Jahre zuvor entdeckt hatte. Mit Hilfe von Freunden und zwei Pferden schafft sie Einrichtungsgegenstände wie Möbel, einen Herd und sogar ein Klavier durch die Schlucht zu ihrem Haus. Kühlschrank, Fernseher und Lampen werden mit Solarenergie betrieben, die Waschmaschine hat Sperlich bei Freunden im nächsten Dorf untergestellt und ihre Dusche befindet sich im Freien. "Wenn ich in Deutschland bin, vermisse ich am meisten, dass ich mich nicht im Freien mit Blick aufs Meer duschen kann", verrät sie.

Romane, Reiseführer, Reportagen
Die Deutsche ist nicht die einzige Schreibende in der Mani. Es ist wohl diese einzigartige Kombination aus schroffen Bergen, tiefblauem Meer und einem ganz besonderen Licht, die immer wieder Schriftsteller magnetisch anzieht. Nikos Kazantzakis, einer der bedeutendsten griechischen Autoren, zum Beispiel hat in dieser Gegend seinen berühmten Roman "Alexis Sorbas" geschrieben, und der Österreicher Christoph Ransmayr hat sich im Fischerdorf Trachila – einem Ort, in dem die Straße plötzlich endet – zu seinem Werk "Die letzte Welt" inspirieren lassen.
Waltraud Sperlich schreibt Reiseführer – früher für Merian und den Regenbogen Verlag, heute für ihren eigenen Verlag "Lyso", den sie vor zwei Jahren mit ihrer ebenfalls in der Mani wohnenden Freundin Eva Lang gründete. Die deutsche Ausgabe ihres ersten gemeinsamen Buchs über das antike "Messene. Die erträumte Metropole" ist 2005 erschienen und inzwischen fast ausverkauft. Im nächsten Jahr sollen Führer über Kalamata, die messinische Halbinsel und die Mani herauskommen sowie ein Buch über "Sparta. Die verkannte Stadt". Auch für ihren Job beim deutschen Magazin "Bild der Wissenschaft" ist die Archäologiejournalistin oft auf Reisen. So wird sie ihr nächster Auftrag im Februar ins ägyptische Elephantine führen.

Zuhause in der Mani schreibt die Deutsche mit den blonden Haaren ihre Geschichten dann – manchmal 14 Stunden pro Tag, manchmal zwei. "Wenn mir nichts einfällt, mache ich meine Gedanken-Gänge", erzählt sie. Dann spaziert sie zwischen ihren Olivenbäumen, aus deren Früchten sie jeden Winter ihr eigenes Öl herstellt, fast bis zu den Nachbarn am nächsten Hügel. "Im Winter komme ich oft zwei Wochen nicht raus" – aus dem Haus, in dem sie seit Jahren alleine lebt. "Wenn ich dann mit meinem Hund so komisch zu reden beginne, wird’s Zeit, wieder unter Leute zu kommen", schmunzelt sie. Ob sie sich in dieser Abgeschiedenheit manchmal einsam fühlt? "Nein. In der Münchner U-Bahn fühle ich mich einsamer."

Quelle: Griechenland Zeitung Ausgabe vom 24.01.2007, Andrea Zefferer